Töte sich, wer kann – Assistierter Suizid:
 Wir wollen darüber reden

Podiumsdiskussion:

"Töte sich, wer kann – Assistierter Suizid – Wir wollen darüber reden"

15. Januar 2025 I 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr 

 

 

Die Podiumsdiskussion brachte Experten aus verschiedenen Bereichen zusammen, um das komplexe Thema des assistierten Suizids aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Fachleute aus der Medizin, Ethik, Palliativpflege sowie betroffene Angehörige kamen zu Wort, um ihre Einsichten und Erfahrungen zu teilen. Es fanden sich 70 Personen ein, die im Verlauf der Veranstaltung mit dem Podium in eine angeregte Diskussion traten. 

Wir wollen mit unserer Podiumsdiskussion zu aktuellen und oft kontrovers diskutierten Themen der Zeit informieren und die Möglichkeit bieten, offen mit Experten zu diskutieren.

 

Die folgenden Teilnehmer nahmen an der Diskussion teil:

  1. Prof. Dr. Stefan Lorenzl – Chefarzt Neurologie und Palliativmedizin am Krankenhaus Agatharied
  2. Prof. Dr. Klaus Mann – Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologe, Diabetologe, Androloge am Schilddrüsenzentrum Tegernsee
  3. Sandra Martino – 1. Vorsitzende des Vereins DIGNITAS Deutschland e.V.
  4. Prof. Dr. Reiner Anselm – Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU
  5. Doris de Causmaecker – Pflegekraft aus Belgien
  6. Eine Angehörige
  7. Magdalena Eham – Palliative-Care Pflegekraft

 

Ein zentrales Thema war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2020, die das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben hatte. Seither besteht in Deutschland ein Zustand, den man als unbefriedigend bezeichnen muss, da weithin unbekannt ist, was erlaubt oder verboten ist und wie die gesetzliche Regelung nun im Detail aussieht. Verschiedene Anläufe gesetzlicher Regelungen, die im Bundestag in den letzten Jahren eingebracht wurden, fanden keine endgültige Zustimmung. Das jahrelange Ringen um die bestmögliche Regelung lässt außer Acht, dass in Deutschland Sterbehilfe stattfindet - mit dem Hauch des Verbotenen.

 

Damit werden die Menschen in ihrer Not allein gelassen und oft sogar in die Ecke der Kriminalisierung gedrängt. Palliative Care möchte den Menschen in der letzten Phase ihres Lebens die notwendige Hilfe anbieten und in Deutschland, insbesondere in Bayern, haben wir ein hervorragend ausgebautes System der Palliative Care. So können wir auf zahlreiche Palliativstationen, Hospize und ambulante Palliative Care-Team zurückgreifen, wenn professionelle Hilfe benötigt wird. 

 

Zahlreiche ehrenamtliche Hospizvereine leisten wertvolle Unterstützung bei der Betreuung schwerstkranker Menschen und ihren Angehörigen – und doch gibt es nicht selten den Wunsch nach Sterbehilfe. Das ist aber keineswegs als Versagen der etablierten Strukturen zu verstehen und steht auch nicht als Gegensatz zur Palliative Care. Der Mensch steht gerade in seiner letzten Lebensphase im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen seinem Glauben und der oft harten Versorgungsrealität.

 

Oft ist es eine Frage der Begleitung und des Umfelds, was geleistet werden kann und was man sich und anderen zumuten möchte. Immer öfter wird es eine Frage der Einsamkeit, der Sinnlosigkeit oder der Sinnentleertheit die uns Menschen in die Verzweiflung treibt. Der fehlende Halt in einer täglich an uns vorbeirasenden Realität, in der man einfach nicht mehr mithalten kann und womöglich noch andere, seine liebenden Angehörigen, in ihrem täglichen Bemühen behindert, ihnen körperliche und finanzielle Opfer abverlangt, fördert den Sinnverlust. Daraus resultiert oft der Wunsch frühzeitig aus dem Leben zu scheiden.   

Zu Beginn unsrer Veranstaltung schilderte eine Angehörige wie sie den assistierten Suizid bei ihrem an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankten Ehemanns miterlebt hatte. Sie bezeichnete diese Entscheidung als eine „Liberalisierung der Sterbehilfe“. Obwohl sie es als eine Erleichterung ansah, dass diese Möglichkeit bestand, war immer noch die persönliche Betroffenheit spürbar. 

 

Sandra Martino, Vorsitzende von DIGNITAS Deutschland e.V., erklärte den wochenlangen Prozess, der die betroffenen Personen und ihre Angehörigen begleitet. Dieser Prozess wird von DIGNITAS organisiert und zwischen Ärzten, Angehörigen und der gesetzlich einzubeziehenden Kriminalpolizei vermittelt, um ein juristisch korrektes und respektvolles Umfeld für den assistierten Suizid zu schaffen. Frau Martino betonte, dass diese sorgfältige Vorbereitung eine Möglichkeit für ein würdiges Abschiednehmen biete, im Gegensatz zu einem ‚normalen‘ Suizid, bei dem keine Verabschiedung möglich sei.

 

Prof. Dr. Lorenzl stellte daraufhin die Notwendigkeit einer offenen Kommunikation zwischen allen Beteiligten – auch in der Palliative Care - heraus. Man soll den Wunsch offen äußern dürfen und frei darüber sprechen können. Ein Umfeld des Vertrauens sei für die Betroffenen essenziell, um das Gefühl von Sicherheit und die Möglichkeit von Zuversicht zu vermitteln. Er sei überzeugt, dass das Wissen, „ich könnte, wenn ich wollte…“, für viele bedeute, dass man die Kraft und das Vertrauen findet, sein Leben bis zuletzt zu leben, da der mögliche suizidale Ausweg aus dem Leid entkriminalisiert werde. Der Mensch braucht für sich oft diese letzte Sicherheit, um seine innere Kraft zu bündeln. Auch der Aspekt, eine gewisse Kontrolle über ihr Leben und Sterben zu haben, spiele eine Rolle.

 

Prof. Dr. Mann erläuterte detailliert die verschiedenen Medikamente, die im Rahmen des assistierten Suizids verwendet wurden und werden, sowie deren Verabreichung. Es wurde betont, dass der Sterbewillige das Medikament selbst einnehmen müsse, was einen wichtigen Unterschied zur strafbaren Tötung auf Verlangen darstellt. Die rechtliche Lage in Deutschland wurde ebenfalls thematisiert. Die große Herausforderung für die Ärzte hinsichtlich ihrer eigenen Einstellung und dem Berufsethos wird angesprochen. 

 

Prof. Dr. Anselm hob hervor, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben habe, das vom Staat geschützt werden müsse. Doch niemand habe eine Pflicht zum Leben, und es sei Teil der Tragik und Freiheit des Menschen, über das eigene Leben entscheiden zu können. 

 

Prof. Lorenzl stellte die Frage in den Raum, ob ein konkreter Gesetzesentwurf zum assistierten Suizid überhaupt nötig sei. Vielmehr befürwortete er ein dynamisches Regulationsmodell mit klaren Eckpunkten, das flexibel an die verschiedenen Bedürfnisse und Situationen angepasst werden könne.

Es wurde betont, dass es in der Verantwortung der Gesellschaft steht, dafür zu sorgen, dass niemand aus Einsamkeit oder aufgrund des Pflegenotstands den assistierten Suizid in Erwägung ziehen muss.

 

Am Ende der Diskussion fassten die Teilnehmer ihre Positionen zusammen:

 

Prof. Lorenzl betonte, dass Deutschland europaweit die beste palliative Versorgung habe, jedoch mehr Bewusstsein für die Bedürfnisse von Patienten mit neurologischen Erkrankungen, wie ALS, geschaffen werden müsse. Es gelte nicht, Sterbehilfe zu fördern, sondern die Palliativversorgung zu verbessern und zu stärken. Die in Deutschland etablierten Palliativ- und Hospizdienste müssten sich stärker für Menschen mit neurologischen Krankheiten öffnen.

 

Prof. Mann regte zum Nachdenken über den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken als eine weitere Möglichkeit des Sterbens an.

 

Sandra Martino unterstrich, dass Sterbehilfe keine Konkurrenz zur Palliativmedizin sei, sondern vielmehr als Ergänzung betrachtet werden sollte, um den Menschen eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen.

 

Prof. Anselm sprach von „Schutzzäunen“ – einer gesellschaftlichen Haltung des Misstrauens gegenüber sich selbst, die die Entscheidung für den assistierten Suizid erschwere. Die Gesellschaft müsse darüber nachdenken, wie sie die Palliative Care weiter ausbauen will, damit der assistierte Suizid nicht die erste Wahl vor der Palliativmedizin darstellt.

 

Abschließend betonte Prof. Anselm, dass der Tod sowohl eine zutiefst individuelle aber in der sekularen Gesellschaft auch eine politische Thematik sei. Es sei von großer Bedeutung, diese beiden Aspekte miteinander zu verbinden.

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